Soundpolitics
von Shakira bis Beyoncé

INTERVIEW
mit Markus Henrik Wyrwich

«Shakira ist die Allzweckwaffe des Exotizismus in der Popmusik» sagt der Musikwissenschaftler Markus Henrik Wyrwich, der ein Buch zu Orientalismus in der Popmusik geschrieben hat. Im Interview spricht der Berliner über die Kraft der Orientklischees in Musikvideos, über Aufmerksamkeitsökonomie und warum Sounds subversiver sein können als Bilder. 

Zu Hause? Wo oder was ist das eigentlich? fragte sich bereits der Internatsschüler Edward Said, als seine Mitschüler im Sommer «nach Hause» in die Ferien gingen. Später als Student und Jung-Wissenschaftler setzte sich dieses Gefühl des Entwurzeltsein für ihn fort. Seine Autobiografie nannte er Out of Place, auf Deutsch übersetzt mit «am falschen Ort», wobei es sich doch für ihn scheinbar nicht so sehr um eine Täuschung bzw. Verirrung dreht, als vielmehr dem grundsätzlichen Nichtvorhandensein eines Bezugsorts, weder hier noch da fühlte er sich «in place», also am richtigen Ort.

Diese Distanzierung erlaubte ihm einen Schritt zurück zutreten und zu betrachten, welche kulturellen Repräsentationen eigentlich mit dem geografischen und kulturellen Raum, in dem er seine erste physische Heimat erlebte, in der westlichen Welt verbunden werden.

Der Orient und seine Orientalismen, das heisst Klischees und Repräsentationen mit denen im Westen «der Orient» verbunden wird, sind Erfindungen und Konstruktionen des Okzidents. Das «Andere» wird hier in wenige Attribute gepresst und damit benennbar gemacht. Said enttarnte die Denkweise, die durch die verbale Unterscheidung in Orient und Okzident geprägt ist. Er untersuchte weiter die historische Entwicklung des Begriffs des Orients und wie die damit verbundenen Repräsentationen und Klischees, die bis heute damit einhergehen, entstanden sind. Edward Saids viel rezipiertes Buch Orientalism (1978) gilt als ein Gründungsdokument Postkolonialer Theorie.

[Anja Wernicke]: Was bedeutet Orientalismus für sie?

[Markus Henrik Wyrwich]: Für mich ist der Orientalismus-Begriff mit politischen Implikationen eingefärbt – wie man es auch bei Edward Said lesen kann. Ich habe mich sehr dafür interessiert, wie dies in der Musik aussieht. Dabei habe ich nicht versucht, krampfhaft bestehende Orientalismus-Thesen in der Musik zu verifizieren. Es war vielmehr inspirierend, den Orientalismus als theoretisches Konzept beziehungsweise analytische Perspektive heranzuziehen, um damit gewisse ideologische Muster in der Popmusik kritisch zu hinterfragen.

[AW]: Was bedeutet das für die Musik? Warum greifen Shakira und Beyoncée zum Beispiel Orientalismen auf?

[MHW]: Die Musikindustrie muss im grossen Kampf um Aufmerksamkeit ständig neue auditive und visuelle Reize liefern. Für mich persönlich war es interessant, den Sound im Kontext einer Orientalismus-Debatte näher zu untersuchen. Natürlich gibt es auch Orientalismen in Liedtexten, wenn ich zum Beispiel an Madonna denke, die solche Worte wie «Karma» verwendet hat. Dem Sound näher auf den Grund zu gehen, stellt allerdings eine besondere Herausforderung dar, weil die Forschung hier immer noch auf der Suche nach geeigneten Analysetechniken und Beschreibungstermini ist. Eine meiner Hauptthesen im Buch ist, dass in vielen Fällen mit orientalistischen Sounds ein gewisser Angstreiz ausgelöst wird. Der Orientalismus wird genutzt, um Spannungen zu erzeugen, die wiederum für Aufmerksamkeit beim Rezipienten sorgen. Sehr verkürzt ausgedrückt: Zum Teil schwingen im Sound die negativen Orient-Assoziationen mit, jene die aufgeladen sind mit terroristischen Bildern oder der Angst vor einem vermeintlichen kulturellen Antagonismus.

[AW]: Wie schätzen Sie denn diese Situation mit Hinblick auf die Musiker ein, die aus den Gebieten stammen, die zum Orient gezählt werden. Ist es für sie eine ungerechte Sache, dass sie sofort mit solchen Stereotypen assoziiert werden oder ist es vielleicht sogar eine Chance für sie Aufmerksamkeit zu erhalten?

[MHW]: Ich habe mit verschiedenen Musikern Gespräche dazu geführt. An «Beautiful Liar» von Shakira, dem Hauptanalysegegenstand meiner Arbeit, waren zwei in Syrien bzw. Ägypten beheimatete Musiker beteiligt. Kareen Roustom, zum Beispiel, war damit betraut worden, die Streicherarrangements für einen Zwischenteil im Song zu komponieren. Sehr interessant war die im Gespräch hervortretende Ambivalenz des Musikers, einerseits zu einem gewissen Grad im vollen Bewusstsein musikalische Klischees erzeugen zu wollen, andererseits aber den Versuch zu unternehmen, eine musikalische Ausdifferenzierung im Rahmen des Möglichen vorzunehmen.

[AW]: Es ist ja nicht das erste Exotismus-Klischee, dass von Shakira bedient wird. Gibt es da ein Ende oder kommt es auf die immer neue Suche an?

[MHW]: Shakira scheint die Allzweckwaffe des Exotizismus in der Popmusik zu sein. Man erinnert sich vielleicht an die Fußball-WM 2006 in Südafrika, als sie den Song «Waka Waka» präsetnierte. Dieser war hoch umstritten, da die Rechte wesentlicher Teile des Songs nachweislich bei einer afrikanischen Band lagen und Sony Music sich juristisch lange quer stellte. Irgendwann gab es eine aussergerichtliche Einigung. Das war natürlich hoch paradox, wenn Shakira als Popstarmarke als offene, tolerante Person inszeniert wird und dann solch ein global wahrgenommener Song einfach geklaut wird. Das Gesamtphänomen Shakira muss sehr kritisch beäugt werden. In fast jedem exotizistischem Video, wie auch bei «Waka Waka», ist sie selbstverständlich barfuss inszeniert, sie tanzt auf Sand, um eine vermeintliche Naturverbundenheit auszudrücken. Persönlich kann man das als ziemlich anstrengend empfinden, objektiv ist dies aber Teil der industriellen Inszenierungslogik anzusehen.

[AW]: Ein weiteres Beispiel aus ihrem Buch ist ein Lied von Maroon 5. Da ist der «Orientalismus» ja weniger offensichtlich. Wie begründen sie dieses Beispiel?

[MHW]: Hier beziehe ich mich auf eine Single, die vielleicht nicht so oft im deutschen Radio lief, die allerdings in Amerika sehr bekannt wurde und bei Tour-Konzerten als Eröffnungssong gespielt wurde. «Shiver» – so der Name des Songs – wurde mit einem orientalistisch aufgeladenen Gitarrenlick ausproduziert. Live wurde der Song in Fernsehshows auf orientalischen Teppichen performt. Interessant ist hierbei, wie der in der Popmusikforschung relativ ausdifferenziert debattierte Rockmusikdiskurs zum Tragen kommt und gegen ein feminisiertes Orientklischee textlich und musikalisch ausgespielt wird. Der männlichen Rockästhetik werden zerbrechliche orientalistische Melodien gegenübergestellt. Die Rationalität des Mannes trifft auf das «paralysierende», «hypnotisierende» und gefährliche Anteile einer Frau.

Was mich umtrieb, ist die Frage, woher kommt das eigentlich? Ob als Rezipient oder Produzent, worauf geht diese tiefe Klischeeverwurzelung zurück, so dass mitunter drei bis vier Töne auszureichen scheinen, um den Orient zu repräsentieren. Wo haben wir in unserem westlichen kulturellen Gedächtnis melodiös beziehungsweise vom Sound her den Orient abgespeichert?

[AW]: Haben Sie das in Ihrem Buch auch diskutiert?

[MHW]: Ja, das ist eine Kernfrage. Ich habe eine kleine Kulturgeschichte der Orientklischees zusammen getragen und dann versucht eine kleine Geschichte der Popmusik zu schreiben, um historische Schlüsselereignisse sichtbar zu machen. Die Weltausstellung 1893 in Chicago repräsentiert ein solches, als Bauchtänze zu bestimmten Melodien aufgeführt wurden, die sich bis heute in diversen westlichen Musikproduktionen wiederfinden. Gewisse musikalische Konstruktionen sind scheinbar zur Natur geworden, um damit den vermeintlichen Orient repräsentieren zu können.

[AW]: Gibt es da für Sie einen Ausweg?

[MHW]: Ich sehe es schon kritisch, Es ist nicht immer genau zu belegen, ob gewisse orientalistische Zugänge vielleicht sogar für einen interkulturellen Austausch sorgen oder ob sie einfach nur Klischees bis hin zu rassistischen Ressentiments bedienen. Sorgsam gewählte Kollaborationsprojekte können gewiss zur Verständigung beitragen. Wenn mit drei bis vier Tönen Millionen von Menschen und verschiedenste Kulturen klanglich abgebildet werden sollen, dann sollte man dies nicht als vollkommen beliebig ansehen und wissenschaftlich übergehen. Der Sound ist in seiner Wirkung deutlich subversiver, als es vielleicht so manche Textzeile und weniger abstrakte künstlerische Ausdrucksformen sein können.

Markus Henrik Wyrwich
Orientalismus in der Popmusik
ISBN 978-3-8288-3203-9
398 Seiten, Paperback
Tectum Verlag 2013

Dieses Interview ist Teil des Norient-Specials «Popular Orientalism(s)»: https://norient-beta.com/taxonomy/term/197

Anja Wernicke lebt in Basel und ist als Kulturjournalistin sowie als Kulturmanagerin für verschiedene Projekte im Bereich der zeitgenössischen Musik tätig.